Genehmigungsbedürftigkeit / Verfahrensfreiheit von vorübergehenden Nutzungsänderungen für Veranstaltungen
Ich gebe folgende Hinweise zum Vollzug des § 60 BauO NRW 2018: Nach § 60 Absatz 1 BauO NRW 2018 bedarf u. a. die Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung, soweit in den §§ 61 bis 63, 78 und 79 BauO NRW 2018 nichts anderes bestimmt ist. Obgleich § 60 Absatz 1 BauO NRW 2018 dem § 59 Absatz 1 der Musterbauordnung und den entsprechenden Vorschriften der Bauordnungen der anderen Länder entspricht, wurde diese Vorschrift in Nordrhein-Westfalen von der obersten Bauaufsichtsbehörde bis dato dahingehend ausgelegt, dass auch vorübergehende Nutzungsänderungen von baulichen Anlagen wie einmalige Nutzungen von Lagerhallen oder landwirtschaftlich genutzten Gebäuden als Versammlungsstätten für Veranstaltungen der Baugenehmigung bedürfen (vgl. Niederschrift über die Dienstbesprechung mit den Bauaufsichtsbehörden im Januar und Februar 2011, S. 1 ff).
Hierzu ist zum einen festzustellen, dass das Baugenehmigungsverfahren nach § 60 Absatz 1 BauO NRW 2018 auf die Errichtung, Änderung sowie Nutzungsänderung baulicher Anlagen und nicht auf die Genehmigung von Veranstaltungen ausgerichtet ist und dass die Baugenehmigung typischerweise auf die nachhaltige Errichtung bzw. Nutzung von Gebäuden und sonstigen baulichen Anlagen und deren formalen Bestandsschutz abzielt. Bis heute ist in der Rechtsprechung nicht verlässlich geklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen eine einmalige Nutzung überhaupt baugenehmigungspflichtig ist (vgl. Kapteina, BauR 2021, S. 439, 442 u. 446).
Zum anderen ist festzustellen, dass die bisherige Auslegung, dass Veranstaltungen eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung darstellen können, im Widerspruch zum Vollzug der entsprechenden Vorschriften in den anderen Ländern steht. Im Zuge der Rechtsharmonisierung und eines einheitlichen Vollzugs ist ab sofort folgende Auslegung zu beachten:
Die Vorschriften für den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten – Teil 1 der Sonderbauverordnung – basieren auf der Muster-Versammlungsstättenverordnung (MVStättVO) Fassung Juli 2014 der Fachkommission Bauaufsicht der Bauministerkonferenz. Sowohl aus der Begründung zu § 1 Absatz 1 MVStättVO als auch aus der Begründung zu dem entsprechenden § 1 Absatz 1 SBauVO (LT-Vorlage 17/2273, S. 22) geht hervor, dass die Vorschriften für Versammlungsstätten auf ortsfeste, auf Dauer angelegte Anlagen abstellen und dass die „Verkoppelung mit dem dauerhaften Nutzungszweck der Anlage [..] Voraussetzungen [sind], um unter die Regelung zu fallen; temporäre Veranstaltungen wie Musikfestivals auf Freiflächen werden nicht erfasst“.
Vor diesem Hintergrund wird ein Raum, der einmalig oder nur gelegentlich für Veranstaltungen mit mehr als 200 Besucherinnen und Besucher genutzt wird, noch nicht zu einem Versammlungsraum i. S. des § 50 Absatz 2 Nummer 6 Buchstabe a BauO NRW 2018. Von einer gelegentlichen Nutzung kann ausgegangen werden, wenn es sich um einige wenige Ereignisse im Jahr handelt, hierzu gehören insbesondere Brauchtumsveranstaltungen wie Schützenfeste, Karneval oder Scheunenfeste. Von einer gelegentlichen Nutzung ist in der Regel nicht mehr auszugehen, wenn 25 und mehr Veranstaltungen in einem Jahr durchgeführt werden.
Veranstaltungen mit mehr als 5 000 Besucherinnen und Besuchern:
Typische Versammlungsstätten im Freien sind ortsfeste, auf Dauer angelegte Anlagen wie Freilichttheater oder Anlagen für den Rennsport. Temporäre Veranstaltungen, wie Musikfestivals auf Freiflächen, sind keine Versammlungsstätten im Freien. Aus diesem Grund werden Versammlungsstätten im Freien, die weder Szenenflächen noch Tribünen haben, jedoch für mehr als 5 000 Besucherinnen und Besucher bestimmt sind, in § 50 Absatz 2 Nummer 6 Buchstabe b BauO NRW 2018 explizit genannt, da sie andernfalls keine Versammlungsstätten im Freien wären und nicht in den Anwendungsbereich des Teils 1 der Sonderbauverordnung fallen würden. Die zuletzt genannten Versammlungsstätten im Freien sind als Ausnahme von der oben genannten Regel anzusehen. Sie bedürfen der Baugenehmigung auch dann, wenn sie einmalig oder nur gelegentlich für Veranstaltungen mit mehr als 5 000 Besucherinnen und Besucher bestimmt sind.
Im Auftrag
gez. Dr. Adam Strzoda
i.V. Abteilungsleitung 6
Quelle: Runderlass des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, Juni 2024